Leitfragen und Ziele

Das längerfristige Ziel des Forschungsvorhabens besteht in der Erarbeitung eines linguistisch und sprachpsychologisch fundierten, sprachdidaktisch relevanten Modells der Schreibkompetenz, welches Kompetenzen im Umgang mit sprachlichen Formen und Strukturen sowie im strategischen Einsatz von Prozessen einschließt. Verglichen mit der traditionellen Schreib- und Aufsatzdidaktik beziehungsweise mit vorliegenden psychometrischen Ansätzen wie beispielsweise im Projektverbund DESI ist daran neuartig, dass Schreibkompetenz nicht anhand einer Progression durch Textsorten steigender Komplexität und auch nicht von Textprodukten ausgehend beschrieben und erfassen wird, sondern dass Kompetenzaspekte im Zentrum stehen, die nicht (nur) textsortenspezifisch, sondern textsortenübergreifend relevant und linguistisch plausibel beschreibbar sind. Die Fähigkeit zur Produktion von Texten bestimmter Sorten, wie sie bei Schülerinnen und Schülern in der Schreibdidaktik typischerweise erhoben wird, erscheint unter diesem Ansatz sozusagen als emergentes Phänomen auf der Grundlage von Kompetenzaspekten. Wir erwarten, dass solche Kompetenzaspekte in der Entwicklung und Schullaufbahn früher vorhanden sein können – und damit auch früher didaktisch gefördert und entwickelt werden können – als die Fähigkeit zur Produktion von vollständigen Texten hinreichender Qualität. Im Rahmen des Projekts stehen folgende Fragen im Zentrum:

  • An welchen linguistisch manifesten Textqualitäten zeigt sich Schreibkompetenz in ihren Teilaspekten besonders deutlich? Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund unserer theoretisch begründeten Annahme, dass Schreibkompetenz weniger das Produkt der sukzessiven Aneignung von Textsorten steigender Schwierigkeitsstufen ist (beziehungsweise sein muss) als vielmehr das Ergebnis der Integration von Teilfähigkeiten, die in unterschiedlichen Ausprägungsgraden für alle Schreibaufgaben benötigt werden. Aus diesem Grund fragen wir auch nicht vorrangig nach dem gesamthaften Gelingen komplexer Schreibaufgaben, sondern nach der Realisierung einzelner, für die Schreibkompetenz zentraler Teilaspekte.
  • Wir nehmen an, dass solche Teilfähigkeiten bei der üblichen Globalbeurteilung der Qualität von Textprodukten (durch schulpraxiserfahrene Fachkräfte) häufig übersehen werden, weil vorrangig diejenigen spezifischen Teilleistungen bewertet werden, die im Fokus der Didaktik der jeweiligen Textsorte stehen.
  • Aus dem Vergleich der in verschiedenen Textsorten realisierten Teilfähigkeiten leitet sich die Frage nach dem wechselseitigen Verhältnis der theoretisch isolierbaren Teilaspekte (Adressatenorientierung, Kohärenzmanagement, Zugriff auf Lexikoneinträge) her. Zu fragen ist u. a., ob sich diese Teilaspekte gleichzeitig auf vergleichbaren Niveaus entwickeln, ob sich eine bestimmte Leitfähigkeit identifizieren lässt, die den anderen vorausgeht, und ob diese Teilaspekte eine Funktion von Schreibaufgaben bzw. Textsorten sind. (Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass wir in den genannten drei Teilkompetenzen sozusagen idealtypische, theoretisch begründbare Kandidaten für die Suche nach textsortentranszendenten Fähigkeiten sehen. Weitere relevante Kompetenzaspekte sind damit nicht ausgeschlossen.)
  • Weiterhin ergibt sich die Frage nach der Trainierbarkeit dieser Teilfähigkeiten. Lässt sich beispielsweise die Fähigkeit zur Adressatenorientierung textsortenübergreifend und transferierbar trainieren? – Dieser Fragenkomplex kann jedoch bestenfalls Gegenstand eines Anschlussprojektes sein.