Schreibkompetenz

Forschungsgruppe

Leitfragen

An der Pro­duk­tion al­ler Text­sor­ten sind be­stimmte, un­ver­zicht­bare Teil­kom­po­nen­ten wie Adres­sa­ten­ori­en­tie­rung oder Glo­bal­struk­tu­rie­rung be­tei­ligt. Die tra­di­tio­nelle, an Text­sor­ten ori­en­tierte Schreib­di­dak­tik hat we­nig Er­kennt­nisse über die be­tei­lig­ten Teil­kom­po­nen­ten oder Prä­dik­to­ren er­bracht, so dass un­ge­klärt ist, ob es sol­che text­sor­ten­über­grei­fen­den Teil­fä­hig­kei­ten be­zie­hungs­weise Kom­po­nen­ten gibt, ob sich diese ge­ge­be­nen­falls auch iso­liert ver­mit­teln las­sen und in wel­chem Um­fang Trans­fer­leis­tun­gen er­wart­bar sind. Im Zen­trum die­ses Pro­jekts steht da­her der Ver­such, sol­che text­sor­ten­über­grei­fende Teil­kom­po­nen­ten zu iden­ti­fi­zie­ren, die (a) lin­gu­is­tisch be­gründ­bar sind, (b) mit der Qua­li­tät von Text­pro­duk­ten kor­re­lie­ren und (c) eine ge­zielte schreib­di­dak­ti­sche För­de­rung er­lau­ben. Da­mit geht auch eine theo­re­ti­sche Be­stim­mung von Schreib­kom­pe­tenz ein­her.

Dazu wer­den bei­spiel­haft drei Teil­kom­po­nen­ten un­ter­sucht, von de­nen wir an­neh­men, dass sie bei den meis­ten Schreib­pro­zes­sen zen­tral wirk­sam sind: (a) die Fä­hig­keit zur Adres­sa­ten­ori­en­tie­rung und Per­spek­ti­ven­über­nahme, (b) die Ver­wen­dung ei­nes dif­fe­ren­zier­ten, in­halt­lich an­ge­mes­se­nen Wort­schat­zes und (c) das Her­stel­len von Ko­hä­renz durch Ein­satz ent­spre­chen­der ko­hä­si­ver Mit­tel. Un­ter­sucht wird, ob sich für die ge­nann­ten Kom­po­nen­ten bei den für die Se­kun­dar­stufe I (Haupt­schule, Re­al­schule und Gym­na­sium) zen­tra­len Text­sor­ten Erzählen/Berichten, Instruieren/Beschreiben und Ar­gu­men­tie­ren Zu­sam­men­hangs­mus­ter zwi­schen der all­ge­mei­nen Schreib­kom­pe­tenz und den Teil­fä­hig­kei­ten zei­gen. Be­ant­wor­tet wer­den soll auf diese Weise auch die Frage nach der Trans­fe­rier­bar­keit von Teil­fä­hig­kei­ten über Text­sor­ten hin­weg.

Für die Schreib­di­dak­tik und die För­de­rung von Schreib­kom­pe­tenz folgte aus dem Vor­han­den­sein sol­cher Mus­ter, dass es sinn­voll sein kann, diese Teil­fä­hig­kei­ten ge­zielt zu trai­nie­ren. Die kom­ple­xen An­for­de­run­gen an den Schreib­pro­zess könn­ten auf diese Weise sinn­voll in Teil­auf­ga­ben zer­legt, ver­mit­telt und trai­niert wer­den. Wir se­hen hierin vor al­lem für we­nig ge­übte Schrei­ber, ins­be­son­dere für Schreib­an­fän­ger am An­fang ih­rer Ent­wick­lung und für Schü­ler nicht-deut­scher Mut­ter­spra­che, die Chance, die oft­mals als er­drü­ckend er­lebte Kom­ple­xi­tät von Schreib­auf­ga­ben in zweck­mä­ßige Teil­auf­ga­ben zu zer­le­gen. Diese Fra­gen wer­den im An­schluss­pro­jekt zur un­ter­richt­li­chen För­de­rung von Schreib­kom­pe­tenz (= Phase 2) un­ter­sucht.

Ne­ben der Ar­beit an der Theo­rie­ent­wick­lung han­delt es sich in me­tho­di­scher Hin­sicht um ein em­pi­risch-quer­schnitt­li­ches Vor­ge­hen, bei dem im We­sent­li­chen neu­ar­tig kom­bi­nierte (näm­lich sprach­di­dak­tisch und sprach­pro­duk­ti­ons­psy­cho­lo­gisch mo­ti­vierte) Prä­dik­to­ren auf kom­plexe Schreibleis­tun­gen be­zo­gen wer­den. Auf­ge­fun­dene va­lide, text­sor­ten­über­grei­fende Prä­dik­to­ren von Schreib­kom­pe­tenz könn­ten zu­dem zu­künf­tige Aus­prä­gun­gen kom­ple­xer Schreib­fä­hig­kei­ten vor­her­sa­gen.

Das län­ger­fris­tige Ziel des For­schungs­vor­ha­bens be­steht in der Er­ar­bei­tung ei­nes lin­gu­is­tisch und sprach­psy­cho­lo­gisch fun­dier­ten, sprach­di­dak­tisch re­le­van­ten Mo­dells der Schreib­kom­pe­tenz, wel­ches Kom­pe­ten­zen im Um­gang mit sprach­li­chen For­men und Struk­tu­ren so­wie im stra­te­gi­schen Ein­satz von Pro­zes­sen ein­schließt. Ver­gli­chen mit der tra­di­tio­nel­len Schreib- und Auf­satz­di­dak­tik be­zie­hungs­weise mit vor­lie­gen­den psy­cho­me­tri­schen An­sät­zen wie bei­spiels­weise im Pro­jekt­ver­bund DESI ist daran neu­ar­tig, dass Schreib­kom­pe­tenz nicht an­hand ei­ner Pro­gres­sion durch Text­sor­ten stei­gen­der Kom­ple­xi­tät und auch nicht von Text­pro­duk­ten aus­ge­hend be­schrie­ben und er­fas­sen wird, son­dern dass Kom­pe­tenz­as­pekte im Zen­trum ste­hen, die nicht (nur) text­sor­ten­spe­zi­fisch, son­dern text­sor­ten­über­grei­fend re­le­vant und lin­gu­is­tisch plau­si­bel be­schreib­bar sind. Die Fä­hig­keit zur Pro­duk­tion von Tex­ten be­stimm­ter Sor­ten, wie sie bei Schü­le­rin­nen und Schü­lern in der Schreib­di­dak­tik ty­pi­scher­weise er­ho­ben wird, er­scheint un­ter die­sem An­satz so­zu­sa­gen als emer­gen­tes Phä­no­men auf der Grund­lage von Kom­pe­tenz­as­pek­ten. Wir er­war­ten, dass sol­che Kom­pe­tenz­as­pekte in der Ent­wick­lung und Schul­lauf­bahn frü­her vor­han­den sein kön­nen – und da­mit auch frü­her di­dak­tisch ge­för­dert und ent­wi­ckelt wer­den kön­nen – als die Fä­hig­keit zur Pro­duk­tion von voll­stän­di­gen Tex­ten hin­rei­chen­der Qua­li­tät. Im Rah­men des Pro­jekts ste­hen fol­gende Fra­gen im Zen­trum:

  • An wel­chen lin­gu­is­tisch ma­ni­fes­ten Text­qua­li­tä­ten zeigt sich Schreib­kom­pe­tenz in ih­ren Teil­as­pek­ten be­son­ders deut­lich? Diese Frage stellt sich vor dem Hin­ter­grund un­se­rer theo­re­tisch be­grün­de­ten An­nahme, dass Schreib­kom­pe­tenz we­ni­ger das Pro­dukt der suk­zes­si­ven An­eig­nung von Text­sor­ten stei­gen­der Schwie­rig­keits­stu­fen ist (be­zie­hungs­weise sein muss) als viel­mehr das Er­geb­nis der In­te­gra­tion von Teil­fä­hig­kei­ten, die in un­ter­schied­li­chen Aus­prä­gungs­gra­den für alle Schreib­auf­ga­ben be­nö­tigt wer­den. Aus die­sem Grund fra­gen wir auch nicht vor­ran­gig nach dem ge­samt­haf­ten Ge­lin­gen kom­ple­xer Schreib­auf­ga­ben, son­dern nach der Rea­li­sie­rung ein­zel­ner, für die Schreib­kom­pe­tenz zen­tra­ler Teil­as­pekte.
  • Wir neh­men an, dass sol­che Teil­fä­hig­kei­ten bei der üb­li­chen Glo­bal­be­ur­tei­lung der Qua­li­tät von Text­pro­duk­ten häu­fig über­se­hen wer­den, weil vor­ran­gig die­je­ni­gen spe­zi­fi­schen Teil­leis­tun­gen be­wer­tet wer­den, die im Fo­kus der Di­dak­tik der je­wei­li­gen Text­sorte ste­hen.
  • Aus dem Ver­gleich der in ver­schie­de­nen Text­sor­ten rea­li­sier­ten Teil­fä­hig­kei­ten lei­tet sich die Frage nach dem wech­sel­sei­ti­gen Ver­hält­nis der theo­re­tisch iso­lier­ba­ren Teil­as­pekte (Adres­sa­ten­ori­en­tie­rung, Ko­hä­renz­ma­nage­ment, Zu­griff auf Le­xi­kon­ein­träge) her. Zu fra­gen ist un­ter an­de­rem, ob sich diese Teil­as­pekte gleich­zei­tig auf ver­gleich­ba­ren Ni­veaus ent­wi­ckeln, ob sich eine be­stimmte Leit­fä­hig­keit iden­ti­fi­zie­ren lässt, die den an­de­ren vor­aus­geht, und ob diese Teil­as­pekte eine Funk­tion von Schreib­auf­ga­ben bzw. Text­sor­ten sind. (Es sei noch ein­mal dar­auf hin­ge­wie­sen, dass wir in den ge­nann­ten drei Teil­kom­pe­ten­zen so­zu­sa­gen ide­al­ty­pi­sche, theo­re­tisch be­gründ­bare Kan­di­da­ten für die Su­che nach text­sor­ten­tran­szen­den­ten Fä­hig­kei­ten se­hen. Wei­tere re­le­vante Kom­pe­tenz­as­pekte sind da­mit nicht aus­ge­schlos­sen.)
  • Wei­ter­hin er­gibt sich die Frage nach der Trai­nier­bar­keit die­ser Teil­fä­hig­kei­ten. Lässt sich bei­spiels­weise die Fä­hig­keit zur Adres­sa­ten­ori­en­tie­rung text­sor­ten­über­grei­fend und trans­fe­rier­bar trai­nie­ren? – Die­ser Fra­gen­kom­plex ist Ge­gen­stand des An­schluss­pro­jek­tes (= Phase 2).